Connection Flights

 

Da war dieses Gemälde,
in dem ich unseren Sommer sehen konnte.
Die Seidenstraßen, Turkländer
und die Elbe in Lauenburg.
Afrika und den Orient,
einen Moment unter der Hoheluftbrücke
und all unsere Abende in Hamburg.

Unser Sommer endete im Oktober.
Er wurde zu zwei Städten im Ausland.
Zu einem Tag, an dem keine Nachrichten mehr kommen.
Zu einem Kontakt, der abbricht.

Ich habe dir nicht mehr von dem Bild erzählt.
Weil wir uns nichts mehr erzählten.

Es war Februar,
als du mir wieder schriebst

Ich habe nicht geantwortet.

 

 

 

Manchmal sind es ein paar Sätze,
die über den Verlauf von so Vielem entscheiden;
manchmal ist es die Entscheidung,
ob man eine Nachricht schickt
oder nicht.
Es ist Juni,
ich bin in Beirut,
ich sitze auf meinem Bett
in dieser unbeschreiblichen Stadt,
gehe auf meinem Handy die Aufnahmen des Tages durch,
als du mir nochmal schreibst.
Diesmal habe ich geantwortet.

Ab dann
habe ich dich mitgenommen,
durch den Libanon,
die Straßen von Istanbul und zu deinem Lieblingsbild,
in die Parks von Chisinau,
an die EU-Außengrenze zu Russland,
in eine verbotene sowjetische Stadt,
an einen litauischen Strand,
in das Haus eines Schriftstellers,
in Belgrader Kaffeehäuser,
auf ein Kunstfestival in Pristina,
über die Brücke des geteilten Mitrovica,

bis wir schließlich in Tirana wieder aufeinandertreffen.

Du klopfst an die Tür der Unterkunft.
Wir haben uns ein Jahr nicht gesehen.

 

 

Wir stehen mit unseren Rücksäcken
an den Busbahnhöfen.

Ich schlage meine Beine über deine
und aneinander gelehnt
lauschen wir Zelda und F. Scott Fitzgeralds Roadtrip,
während albanische Berge an uns vorbeiziehen.

Wir sitzen in Cafés und lesen,
wir trinken Kaffee, Tee und Kakao,
Wein in versteckten Gärten.

Das Meer schlägt gegen die Küste,
der Regen gegen das Fenster,
während wir ineinander verhakt schlafen.

Wir sind eine Geschichte mit so vielen Details,
ein Gemälde in so vielen Farben.

Wir sind so viele Zeitebenen
und Schichten.

Wir sind das Flackern von Licht –
und das Scherzen darüber.

Wir sind so viele Städte;
ein Leben an so vielen Orten.

Wir sind Abschiede,
wieder mal,
als du in den Bus in Richtung Flughafen steigst
und meine Reise allein weitergeht,
mit dir in meinem Handy.
Prizren, Skopje, Tetovo, Ohrid und Bitola,
wo du mit mir so lange telefonierst,
bis ich fast eingeschlafen bin,
weil es mir in dem Hotel zu unheimlich ist:
Ich bin der einzige Gast dort,
sogar die Rezeption ist unbesetzt.
Und du bist da,
bei einer gefährlichen Begegnung im Libanon,
an einem grauen, regnerischen Tag in Belgrad,
als es mir nicht gut geht.
Niemand weiß so genau, was er mit seinem Leben machen soll,
sagst du.

Mit niemandem kann ich so über meine Reisen reden.
Mit niemandem über so viele Länder.
Niemand weiß so genau Bescheid, wo ich gerade bin.

Ich habe das Gefühl, dass du mich sehen kannst.
Dass du erkannt hast, wer ich bin.
Ich bin eine Abenteuerin und eine Poetin,
ich bin Geopolitik und Kunst,
ich bin Lippenstift und Krisenreportagen,
ich bin Lesen im Kerzenschein und Flughäfen,
ich bin belgische Häuser und die arabische Wüste.

Und du weißt Bescheid.

 

 

Doch dann ist da dieser unüberwindbare Graben zwischen uns,
durch den ich nicht durch will,
und der zu groß ist,
um ihn zu umrunden,
und den keiner von uns zuschütten will.

Dieser Graben, der sich immer wieder zeigt,
in so vielen Gesprächen.
Du zerfetzt die Sätze,
du zerschlägst den Moment,
klagst die ganze Welt an
außer dich selbst und deine Überzeugungen.

Eine Zeitung voller Krieg
wird auch zu einem Krieg zwischen uns,

der in ein Schweigen umschlägt,
in fehlende blaue Lesehaken.
Diesmal keine Nachrichten bis tief in die Nacht hinein.
Diesmal keine letzten Worte vor dem Schlafen.

Er zeigt sich darin,
dass ich von Skopje nach Wien fliege,
dass ich dort zwischenlande, in der Stadt, in der du lebst,
nur zwischenlande,
dass ich nicht dem Schild zum Ausgang folge,
sondern jenem, auf dem „Connection Flights“ steht.

Und vermutlich ist es so,
dass du nicht das Ziel bist,
nicht das Ende der Reise,
sondern ein Teil des Weges
irgendwo anders hin.

Dass du etwas bist, woraus ich lernen soll.

Vielleicht, dass es manchmal Menschen gibt,
mit denen wir eine besondere Verbindung haben.
Mit denen es knistert und flattert,
mit denen wunderschöne Erinnerungen entstehen,
tiefes Vertrauen,
Ideen und Pläne –

und dass das doch alles nicht reicht.

Dass es manchmal nicht die große Geschichte ist,
noch nicht einmal eine gute,
selbst wenn so viele Szenen so schön sind.

 

 

Diesmal endete unser Sommer im November.
Er endete irgendwo zwischen Antwerpen,
als ich im Morgengrauen dein Hotelzimmer verließ,
den Zug nach Brüssel nahm,
in die Stadt, die ich dir so gerne gezeigt hätte,
und in der du mich dann doch nicht besucht hast;
und Paris, wohin ich weiterfuhr.

Er endete irgendwo zwischen Picasso und Kandinsky,
zwischen La Villette und Montparnasse.

Er endete, ohne dass ich einen Punkt benennen könnte,
an dem es erkennbar war.

Vielleicht war ich es, die die Signale sendete,
als ich dir weniger Fotos schickte als sonst.
Vielleicht merktest du, dass ich dich nicht mehr mitnahm
auf diese Reise.

Vielleicht merktest du, dass ich genug hatte.
Dass ich fand, dass unsere Geschichte so genug war.

 

Fotos: Helge Zimmermann, Istanbul 2019

 

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