Unverdientes Glück

Die Sonne scheint. Menschen sitzen unter Sonnenschirmen auf dem Marktplatz und trinken Kaffee. Andere laufen vorüber, ein Eis in der Hand oder ein Smartphone. Ein Postwagen holpert den Weg entlang, bringt den Menschen schöne Dinge, die sie bestellt haben, an die Haustür. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir haben ein schönes Leben.

Sie wollen nur weg. Irgendwie müssen sie es über den Stacheldraht schaffen. Es ist unerträglich heiß und sie haben solchen Durst. Warnschüsse fallen. Die Menge wird auseinandergedrängt. Panik. Sie wollen nur weg. Sie wollen nur ein Leben.

 

Maxikleid (5)

 

Ich bin die ganze Nacht immer wieder aufgewacht. So eine blöde Fliege war in meinem Zimmer und hat sich ständig auf mein Gesicht gesetzt.

Sie bekommen keine Luft mehr. Seit Tagen stehen sie – eingepfercht auf einem Schiff. Kein Schlaf, nichts zu essen und zu trinken. Weit und breit ist nur noch Wasser. Das offene Meer. Nichts anderes. Und auch niemand, der das Schiff lenkt.

 

Toll, schon wieder eine Macke im Nagellack, obwohl ich ihn erst gerade frisch lackiert habe.
Der Kuchen hat mir übrigens nicht so gut geschmeckt, deswegen habe ich den Rest in den Müll geworfen.

Fast alle Bäckereien sind zerstört. Es gibt kaum noch Brot. Das Wenige ist unbezahlbar. Seit Tagen hatte er nichts gegessen. Er wollte nur ein kleines Stück. Nur ein kleines bisschen. Er hat geklaut. Dann wurde ihm die Hand abgehackt.

 

Wir wussten nicht, was wir machen sollen. Deswegen haben wir die Polizei gerufen.

Vor ihr steht ein Mann mit einer vorgehaltenen Waffe. Sie weiß nicht, was sie tun soll.

 

Ich kann es mir nicht vorstellen, wie ihr Leben aussieht. Was sie erlebt haben, auf ihrem Weg zu uns. Ich kann nur versuchen, es mir vorzustellen.
Und meine Vorstellung ist schrecklich, aber vermutlich nicht im Mindesten vergleichbar mit der Realität.

Niemand weiß genau, wie es dort aussieht. Journalisten und Botschafter haben das Land verlassen. Sie würden sonst ihr Leben riskieren – das eine Leben, das sie haben.

 

Maxikleid (2)

 

Ich habe ein schönes Leben.
Es ist nicht perfekt und es läuft nicht immer alles wie am Schnürchen, aber ich habe es gut. Ich bin gesund und unversehrt, habe eine Krankenversicherung, wohne in einer schönen Wohnung im historischen Stadtkern, besitze viele schöne Dinge, bin zur Schule gegangen und habe studiert. In meinem Kühlschrank befindet sich allerlei zu essen – und wenn er doch mal leer ist, dann gehe ich einfach zum Supermarkt auf der anderen Straßenseite und kaufe mir, was immer ich möchte.
Wenn ich nachts im Bett liege, muss ich mir keine Sorgen machen, dass eine Bombe auf das Haus fällt. Ich bin in Sicherheit. Alles ist gut.

Ich habe ein schönes Leben.
Und ich habe nichts dafür getan: Ich habe dieses Leben einfach bekommen. Bin hineingeboren worden in das wohlhabende Europa der Nachkriegszeit, in eine Welt, in der Frauen nicht mehr unterdrückt werden und jeder die gleichen Rechte hat.
Ich lebe in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde. Mir steht alles offen. Ich kann in die Welt hinausziehen, wann immer ich möchte. Und auch wieder umkehren.

Ich habe mir meine Staatsangehörigkeit nicht ausgesucht; ich habe nicht dafür gearbeitet oder sie mir in irgendeiner anderen Weise verdient. Es war schlicht und ergreifend einfach Zufall, dass ich als Deutsche geboren worden bin.
Ich habe nur ein Leben und ich habe es ziemlich gut getroffen. Ich hatte einfach riesiges Glück.

 

Maxikleid (6)

 

Wir alle hatten einfach riesiges Glück.

Das ist nicht selbstverständlich.

 

Maxikleid (4)

 

Ihr Haus ist nicht mehr da. Sie haben nichts mehr.
Sie haben Hunger – und jeden Tag Angst.

Sie haben sich dieses Leben nicht ausgesucht. Sie sind hineingeboren worden in die Krisenregionen. Das Recht zu leben – das gibt es dort nicht. Sie sind arm. Schutzlos.
Die Welt verschließt sich vor ihnen. Sie können nicht fortgehen. Und sie können nicht umkehren.

Sie haben sich ihre Staatsangehörigkeit nicht ausgesucht.
Sie haben nur ein Leben und sie haben es nicht gut getroffen. Sie hatten kein Glück.

 

Maxikleid 

 

„Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ Albert Schweitzer

 

Etwas von unserem Glück teilen. Das ist das, was wir jetzt tun können. Was wir tun sollten. Denn wir haben alle nur ein Leben und wir sind alle Menschen. Wir sind nur zufällig auf verschiedenen Kontinenten geboren worden.

 

Mit diesem Beitrag unterstütze ich die Aktion #BloggerFuerFluechtlinge (Link zur Spendenaktion)

 

Maxikleid (7)

 

Kleid: Shein

Schuhe: Bata

Nagellack: Anny – Sunshine Babe

 

Maxikleid (8)

 

Fotos: Helge Zimmermann

Lüneburg

 

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24 Gedanken zu „Unverdientes Glück&8220;

  1. Dein Blick auf die aktuelle Situation, das macht es so viel einfacher als es dargestellt wird. Wir alle haben das gleiche Recht glücklich zu sein und ein Leben ohne Krieg und Verfolgung leben zu dürfen & genau deshalb sollte es keine Diskussion darum geben ob wir überhaupt Flüchtlinge aufnehmen sollten. Die Frage ist nur wie, wie können wir sie in unser Leben integrieren, dass sie hier glücklich werden können?
    Ich finde es wirklich toll, dass du diese Aktion unterstützt und deine Art zu schreiben, die Gedanken, die du vermittelst, sind großartig!
    Lieben Gruß,
    Lisa

  2. Wirklich ein toller Text, der mich zum Nachdenken angeregt hat..
    Ich denke viele von uns wissen dieses Glück gar nicht zu schätzen. Dabei können wir echt mehr als dankbar sein, ein solches Leben führen zu können.
    Und ich finde, das Kleid passt super zu deinen Haaren! 😀
    Liebe grüße!

    1. Stimmt genau, ich verliere das auch sehr oft aus dem Blick. Es ist schließlich Alltag und hierzulande normal, dass es uns so gut geht. Deswegen sollte man sich das hin und wieder mal bewusst machen.

  3. Oh mein Gott…. Der Text hat mich so berührt….. Es ist einfach die Wahrheit. Man kann echt nichts dafür, wo man geboren wird, deshalb treffe ich mich auch jeden Samstag mit Asylbewerbern und unterhalte mich mit ihnen oder wir spielen Gesellschaftsspiele. Und auch deswegen habe ich mich dazu entschieden nur noch faire Klamotten zu kaufen.

    Viele Grüße von Mode_Koks
    http://www.wirsindgold.blogspot.de

  4. Wow, toll siehst du aus! Das Kleid steht dir super und die Farbe unterstreicht deinen Typ. Und der der Text ist wieder mal so schön 🙂
    Liebe Grüße, Pisa ❤️

  5. Wirklich sehr schöner Text! Ich finde den Vergleich so gut gesetzt, du hast Talent, du schreibst sehr gefühlvoll.
    Dein Kleid ist wirklich echt schön, ich finde die farbe steht dir total!

  6. Tolle Fotos, wunderschönes Kleid… aber was mir an Deinem Blog ganz besonders gefällt, ist diese poetische und auch eindringliche Art, Dinge zu sagen, Geschichten zu erzählen, das eigene Kopfkino anzustoszen. Das hebt Deinen Blog wohltuend heraus aus der Flut der Fashion-Blogs, die mir auf Blog-Zug begegnen.
    Ich schreibe selten irgendwo Kommentare, aber das muszte hjetzt mal gesagt werden.
    Liebe Grüsze und weiter so, ich schaue gern bei Dir rein
    Mascha

    1. Vielen, vielen Dank für Dein nettes Feedback 🙂 Ich freue mich immer sehr, wenn meine Texte jemandem gefallen. Liebe Grüße zurück 🙂

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